Bonhoefferzentrum
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100 Jahre Dietrich Bonhoeffer

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Sie finden hier Texte aus einem literarisch-musikalischen Abend, der anlässlich des 100. Geburtstags von Dietrich Bonhohoeffer im Jahr 2006 in der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde stattgefunden hat.

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Musik

Einleitung

Dietrich Bonhoeffer bewegt - er hat Sie bewegt - heute hierher zu Kommen zu diesem literarisch-musikalischem Abend. Dazu begrüe ich sie alle ganz herzlich. Wir erinnern an diesem Abend an Dietrich Bonhoeffer, den Namensgeber unserer Gemeinde. Heute vor 100 Jahre wurde er geboren - doch sein Leben währte nicht lange - keine biblischen 90 oder gar 100 Jahre, nein, schon früh, am 9. April 1945, nahm sein Leben im KZ Flossenbürg vorzeitig ein Ende. Er starb kurz nach seinem 39. Geburtstag - wurde umgebracht von Hitlers Schergen, weil Hitler es nicht ertragen konnte, dass die Menschen, die sein Ende wollten, seinen eigenen Tod überleben sollten. Und doch hat Dietrich Bonhoeffer überlebt - in den Herzen vieler Menschen. Er bewegt, er berührt, als Theologe, als Mensch, als Liebender, als politisch Denkender, als jemand der Verantwortung übernahm, auch in schwerer Zeit. An ihn erinnern wir heute abend, in sieben Stationen. Dabei werden auch immer wieder Worte von Dietrich Bonhoeffer selbst zu Hören sein.

Musik

Station I:    Der Bibel-Leser   

Dietrich Bonhoeffer stammte aus einem großbürgerlichen Elternhaus. Professoren, Ärzte, Offiziere, Rechtsanwälte, das war die Welt, in der er aufgewachsen ist. Einen reichen Schatz an Gaben hat er von diesem Elternhaus mitgenommen - doch schon früh begann er auch, sich von seinem Elternhaus zu lösen - seinen eigenen Weg zu suchen. Im Gymnasium teilte Dietrich Bonhoeffer seinen Mitschülern mit, er werde Theologie studieren. Als ihm vorgehalten wurde, was für ein langweiliges, kleinbürgerliches Gebilde die Kirche doch sei, antwortete er:

"Dann werde ich eben die Kirche reformieren."

Kirche, Theologie war für ihn etwas Neues, eine Verheiung auf ein anderes Leben. So studierte er Theologie, wurde Pfarrer. Dabei veränderte er sich aber auch selbst. Er entdeckte für sich die Bibel, und dort vor allem die Bergpredigt Jesu. Er schreib­t:

"Dann kam etwas, das mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten mal zur Bibel. Ich hatte schon oft gepredigt, und ich war noch kein Christ. Ich hatte auch nie oder doch sehr wenig gebetet. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt.
Ich bin erst innerlich und aufrichtig, wenn ich mit der Bergpredigt anfange, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann, bis von dem Feuerwerk nur ein paar ausgebrannte Reste übrigbleiben. ... Es gibt nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, sich kompromisslos einzusetzen. Mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, ist so etwas."

Die Bibel führte Dietrich Bonhoeffer vom Bildungsbürger zum Weltbürger, aus der Enge in die Weite, und aus der Weite in die Einsamkeit der Angst.

Musik    

Station II:    Der Ökumeniker

Dietrich Bonhoeffer war nach seinem Theologie-Studium und der praktischen Ausbildung zum Pfarrer ein Jahr als Pfarrvikar in Spanien in Barcelona. Da er für die Ordination nach seiner Rückkehr noch zu jung war, legte er kurz danach ein Studienjahr in Amerika ein. Dort erlebte er bei den Gemeinden der Schwarzen eine für ihn bis dahin unbekannte Lebensfreude im Glauben. Er erlebte, dass Glaube etwas mit Gefühlen zu tun hat, mit Leiden und mit Leidenschaft. Aber noch mehr: er merkte auch, dass der Glaube einen Ort braucht, um Leben zu können - und dass Ungerechtigkeit und Reichtum nicht unbedingt der Ort ist, an dem Glaube wachsen kann - während dort, wo Menschen sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, auch der Glaube wachsen und blühen kann. Dietrich Bonhoeffer schrei­bt aus New York:

"Man kann in New York fast über alles predigen hören, nur über eines nicht oder doch so selten, dass es mir jedenfalls nicht gelungen ist, es zu hören, nämlich über das Evangelium Jesu Christ, vom Kreuz, von Sünde und Vergebung, von Tod und Leben.
 Aber in den Negerkirchen habe ich das Evangelium predigen hören. Immer wenn wirklich vom Evangelium die Rede war, stieg die Teilnahme der Neger in Ausrufen zu ungeheurer Empfindungsintensität aufs Höchste. Im Gegensatz zur oft vortragsmäßigen Art der "Weien Predigt" wird der "Black Christ" mit hinreiender Leidenschaftlichkeit und Anschauungskraft gepredigt. Wer die Negro Spirituals gehört und verstanden hat, wei von der seltsamen Mischung von gehaltener Schwermut und ausbrechendem Jubel in der Seele des Negers."

In Amerika wurde Dietrich Bonhoeffer für die Rassenfrage sensibilisiert. Er begriff, dass es im Christsein Fragen gibt, bei denen man sich entscheiden muss auf welcher Seite man steht. Und dass wenn man auf der falschen Seite steht -  auf der Seite der Ungerechtigkeit - man dort auch nicht mehr das Wort Gottes hören kann. Der christliche Glaube findet nicht irgendwo im Kopf statt, sondern er hat einen ganz konkreten Ort, bei ganz konkreten Menschen.

Musik   

Station III:    Der Kirchenpolitiker

Dietrich Bonhoeffer hatte eine Zwillingsschwester, Sabine, mit der er Zeit seines Lebens eng verbunden war. Sie heiratete - mitten in der beginnenden Zeit des Nationalsozialismus - einen Juden - Gerhard Leibholz mit Namen. Mit ihnen beiden zusammen verfolgte Dietrich Bonhoeffer aufmerksam den Aufstieg und die Machtübernahme der Nationalsozialisten. In einem Rundfunkvortrag 1933, direkt nach der Machtübernahme, wandte sich Dietrich Bonhoeffer kritisch gegen den Führer, den er mit einem "Verführer" gleichsetzte. Der Vortrag wurde noch während der Ausstrahlung abgeschaltet. Als die Nationalsozialisten nach und nach begannen, auch die Kirchen gleichzuschalten, gehörte Dietrich Bonhoeffer mit zu den Ersten, die begannen, sich dagegen zu wehren. Ausgangspunkt war dabei für ihn die Judenfrage. Dietrich Bonhoeffer stellte sich damals in dieser Frage offen auf die Seite der Juden und wendet sich gegen die Durch­setzung des Arierparagraphen in der Kirche, der in seiner Konsequenz bedeutet hätte, dass alle, die jüdischer Abstammung sind, in der Kirche ihrer Anstellung und ihrer Rechte beraubt würden. Er schreibt:

"Die Deutschen Christen sagen:
Die Kirche darf die Ordnungen Gottes nicht auflösen oder missachten. Solche Ordnung aber ist die Rasse, darum muss die Kirche rassisch bestimmt sein.

Wir antworten:
Die gegebene Ordnung der Rasse wird ebensowenig verkannt wie die der Geschlechter, der Stände, et cetera. In der Kirche bleibt Jude Jude, Heide Heide, Mann Mann, Kapitalist Kapitalist et cetera. Aber der Ruf Gottes beruft und sammelt alle zu einem Volk... . Die Rasse ... darf nie Kriterium für die Zugehörigkeit zur Kirche sein, dies ist allein das Wort Gottes und der Glaube.
....
    
Die Deutschen Christen sagen:
Wir haben nicht die tausend Juden-Christen, sondern die Millionen gottentfremdeten Volksgenossen im Auge. Um ihretwillen müssen gegebenenfalls die anderen geopfert werden.

Wir antworten:
Auch wir haben sie im Auge, aber in der Kirche wird kein einziger geopfert, und es kann sein, dass die Kirche, um der tausend gläubigen Juden-Christen willen, die sie nicht opfern darf, Millionen nicht gewinnt. Aber was wäre auch ein Gewinn von Millionen, wenn er auf Kosten der Wahrheit und der Liebe gegen einen einzigen erkauft werden müsste? Es könnte kein Gewinn, sondern nur Schade sein, denn die Kirche wäre nicht mehr Kirche.

In seinem Katechismus schreibt Dietrich Bonhoeffer dazu:

In der Kirche schliet der Heilige Geist die Menschen fester zusammen, "als Blut und Geschichte. In der Gemeinde ist nicht Herr und Knecht, Mann und Frau, Jude oder Deutscher, Jude oder Deutscher, sondern sie sind allzumal einer in Christus."

Dietrich Bonhoeffer sieht in dem Arierparagraphen eine Irrlehre in der Kirche. Doch er kann sich mit seiner Position innerhalb der Kirche nicht durchsetzen. Es kommt schlielich zu einer Spaltung der evangelischen Kirche in eine "Bekennende Kirche", zu der sich Dietrich Bonhoeffer zählt, und zur Kirche der Deutschen Christen. Dabei hörte Dietrich Bonhoeffer auch in dieser Zeit nie auf, sich für die Juden einzusetzen, auch wenn er sich damit wenig Freunde machte. Von ihm stammt der später berühmt gewordene Satz:

"Nur wer für Juden schreit, darf gregorianisch singen."

Musik

Station IV:    Der Prediger        

Dietrich Bonhoeffer ist in den Zeiten des Kirchenkampfs Dozent an der Universität in Berlin und zugleich Studentenpfarrer und Hilfsprediger. In seinen Predigten wendet er sich offen gegen die neuen Machthaber. Doch wird der Boden für ihn in Deutschland bald zu gefährlich. Im Oktober 1933 geht er nach London. Dort kommen in seinen Predigten auch andere Töne zum Klingen. Wir hören Ausschnitte aus einer Predigt aus dem Mai 1934, gehalten am Sonntag Trinitatis in London. Thema der Predigt war das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes.

"Die Geheimnislosigkeit unseres modernen Lebens ist unser Verfall und unsere Armut. Ein menschliches Leben ist so viel wert, als es Respekt behält vor dem Geheimnis. Ein Mensch erhält sich so viel vom Kinde in ihm, als er das Geheimnis ehrt. Darum haben die Kinder so offene, erwachsene Augen, weil sie wissen, dass sie umgeben sind vom Geheimnis. Sie sind mit dieser Welt noch nicht fertig geworden. ...

Wir zerstören das Geheimnis, weil wir spüren, dass wir hier an eine Grenze unseres Seins geraten; weil wir über alles verfügen und Herr sein wollen. Und eben das können wir mit dem Geheimnis nicht. Das Geheimnis ist uns unheimlich, weil wir nicht bei ihm daheim sind, weil es von einem anderen "Daheimsein" redet als dem unseren.

Geheimnislos leben heißt, von dem Geheimnis unseres eigenen Lebens, von dem Geheimnis des anderen Menschen, von dem Geheimnis der Welt nichts wissen. Heißt, an den Verborgenheiten unserer selbst, des anderen Menschen und der Welt vorübergehen. Heißt, an der Oberfläche bleiben. Heißt, die Welt nur so weit ernstzunehmen, als sie verrechnet und ausgenutzt werden kann. ....

Geheimnis heißt nun aber nicht einfach, etwas nicht zu wissen. Nicht der fernste Stern ist das größte Geheimnis, sondern im Gegenteil: Je näher uns etwas kommt, je besser wir etwas wissen, desto geheimnisvoller wird es uns. Nicht der fernste Mensch ist uns das größte Geheimnis, sondern gerade der nächste. Und sein Geheimnis wird uns dadurch nicht geringer, dass wir immer mehr von ihm wissen, sondern in seiner Nähe wird er uns immer geheimnisvoller. Er ist die letzte Tiefe alles Geheimnisvollen, wenn zwei Menschen einander so nahe kommen, dass sie einander lieben. Nirgends in der Welt spürt der Mensch die Macht des Geheimnisses und seine Herrlichkeit so stark wie hier. Wo zwei Menschen alles voneinander wissen, wird das Geheimnis ihrer Liebe zwischen ihnen unendlich groß. Und erst in dieser Liebe verstehen sie einander, wissen sie ganz voneinander, erkennen sie einander ganz. Und doch, je mehr sie einander lieben und in der Liebe voneinander wissen, je tiefer erkennen sie das Geheimnis ihrer Liebe. Also das Wissen hebt das Geheimnis nicht auf, sondern vertieft es. Dass der andere mir so nahe ist, das ist das größte Geheimnis."

Einer, der ihm theologisch nahe war, Karl Barth, rief ihn im Jahr 1935 aus London zurück nach Deutschland. Hier übernahm Dietrich Bonhoeffer die Leitung des illegalen Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Er sollte nun andere als Pfarrer und Prediger ausbilden.

Musik

Station V:    Der Verschwörer

Kritisch beäugt von den Nationalsozialisten pflegte Dietrich Bonhoeffer in den Zeiten des Kirchenkampfs weiter seine ökumenischen Kontakte. In den Augen der Nationalsozialisten galt er schon früh als Volksverräter. Sein Leben war in Gefahr. Trotzdem kehrte er im Jahr 1939 mit einem der letzten Schiffe vor Kriegsausbruch von einem Amerika-Besuch wieder nach Deutsch­land zurück. Er nahm aus christlicher Verantwortung an einer Verschwörung gegen Hitler teil. Es reicht nicht, nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern man mu auch dem Rad selbst in die Speichen fallen, so hatte er 1933 in einem Vortrag zum Thema "Die Kirche vor der Judenfrage" geschrieben. Nun gehörte er selbst zu denen, die dabei waren, sich die Hände schmutzig zu machen, um Schlimmeres zu verhindern. Er nutzte seine familiären Verbindungen, wurde V-Mann beim Stab des Admirals Canaris in der Abwehr der Wehrmacht und arbeitete zugleich im Widerstand. Er half mit, Juden die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen - und Hitler mit Gewalt zu stürzen. Er schrei­bt später - in einem Rückblick in seinen Gefängnisbriefen - über sich und sein Ringen in dieser Zeit:

Sind wir noch brauchbar?
Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden und mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden - sind wir noch brauchbar? Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen. Wird unsere innere Widerstandskraft gegen das uns Aufgezwungene stark genug und unsere Aufrichtigkeit gegen uns selbst schonungslos genug geblieben sein, dass wir den Weg zur Schlichtheit und Geradheit wiederfinden?

Dietrich Bonhoeffer wusste, dass er gegen einen übermächtigen äueren Feind kämpfte - und er wusste auch, dass er sich in diesem Kampf selbst veränderte - ein anderer wurde. Er war dazu bereit, weil es für ihn das Gebot der Stunde war, auch wenn der Preis in vielerlei Hinsicht ein Hoher war.

Musik

Station VI:    Der Liebende 

Mitten in der Zeit, als Dietrich Bonhoeffer für die Abwehr - und zugleich im Widerstand - aktiv ist, begegnet er im Juni 1942 der 18 jährigen Maria von Wedemeyer. Es ist die Zeit, in der die Gestapo erste Spuren der Widerstandsgruppe aufnimmt, zu der auch Dietrich Bonhoeffer zählt. Mitten in diesen bedrohten Verhältnissen beginnt ein zartes und zunehmendes Band der Liebe zu wachsen, das nach und nach alle Grenzen von Alter - und auch von inneren und äueren Widerständen - überwindet. Zu diesen Widerständen zählte auch eine einjährige Wartezeit, die ihnen von der Mutter Maria´s auferlegt worden war, und in der sie sich weder Sehen noch Schreiben sollten. Im Januar 1943, Maria von Wedemeyer ist kaum zwanzig Jahre alt - und nach damaligen Recht noch nicht volljährig - schreibt sie an Dietrich Bonhoeffer, dass sie ihm gerne auf eine Frage antworten würde, die er gar nicht gestellt habe - und dass ihre Antwort "Ja" lauten würde. In einem Brief antwortet Dietrich Bonhoeffer:

"Es ist dieses dein Ja, das mir allein Mut geben kann, nun auch zu mir selbst nicht mehr nur Nein zu sagen. Sag mir nichts über das "falsche Bild", das ich von Dir haben könnte. Ich will kein "Bild", ich will Dich, so wie ich Dich von ganzem Herzen bitte, nicht ein Bild von mir, sondern mich zu wollen."

Seit diesem Briefwechsel betrachteten sie sich beide als verlobt. Doch nur kurz darauf, am 5. April 1943 wird Dietrich Bonhoeffer verhaftet. Noch ahnt niemand von den Machthabern, wie weit Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand verstrickt ist. Trotzdem darf Dietrich Bonhoeffer in der Militärstrafanstalt Berlin-Tegel in den ersten Monaten keine Besuche empfangen, und nur alle 10 Tage einen Brief an seine Eltern schreiben. Darin muss er auch immer alle Nachrichten für Maria mit unterbringen. Ende Juli erfährt Dietrich Bonhoeffer schlielich, dass nach unzähligen Verhören die Anklageerhebung gegen ihn nun abgeschlossen ist. Er erhält eine erweiterte Sprech­erlaubnis und darf von nun an alle vier Tage einen Brief abschicken und dabei nun endlich auch seiner Braut schreiben. Doch gehen auch diese Briefe selbstverständlich alle durch die Zensur.

Maria schreibt:

Ich möchte gleich zu dir fahren können, heute noch. Aber ich kann nicht - es ist mir unerträglich, dass ich noch immer keine Sprecherlaubnis habe.

Und etwas später, nachdem sie sich bereits öfter gesehen haben:

Liebster Dietrich! Es ist schade, dass ich mich nicht als Miniaturausgabe in Deine Jackentasche stecken kann. Du würdest mich dann in Deiner Zelle hervorholen, und wir könnten uns lange und ungestört unterhalten. .... Langweilig, dass Märchenbücher erfunden sind. .... Ich möchte jetzt im Dunkelwerden bei Dir sitzen und Dir etwas erzählen, leichte, mühelose, schöne Dinge, solche, die man sich erzählt, wenn man eine lange Zeit vor sich hat und nicht an Abschied denken muss, wenn man glücklich ist und denkt: Du bist bei mir.

Dietrich schreibt:

Wie soll ich dir beschreiben, was Deine Besuche für mich bedeuten? Sie vertreiben jeden Schatten und jeden Kummer und sind tagelang eine Quelle großen und ruhigen Glücks ... Wenn ich nach unserem Zusammensein in meine Zelle komme, dann überwiegt nicht etwa, wie Du vielleicht denken könntest, das Gefühl der Verzweiflung über die Unfreiheit, sondern es überwältigt mich der Gedanke, dass Du mich genommen hast. Es hätte ja so viel so begreifliche Gründe gegeben, aus denen Du hättest Nein sagen können. Und gegen alle diese Gründe hast Du Ja gesagt, und ich darf spüren, dass Du es immer freier und gewisser sagst. Vor dieser Wirklichkeit versinken alle Fenstergitter. Dann bis Du bei mir; was geht mich die verschlossene Tür an?

Lang ist die Zeit im Gefängnis, und belastend für alle.

Maria schreibt:

Du, mein sehr lieber Dietrich
Heut sind wir ein Jahr verlobt. Es gibt eigentlich gar nichts, was man weiter dazu sagen kann. Und ich denke heut den ganzen Tag auch nur immer: "ein Jahr, ein Jahr" und gar nichts weiter. Es war ein sehr langes Jahr, noch viel länger, als ich im ersten November gedacht hätte, und doch schien mir ein Jahr damals schon so unendlich. - Ich wei eigentlich nur noch sehr wenig Jahre aus meinem Leben, aber diese beiden letzten werde ich nie vergessen können, denn sie sind mehr, als all die Zeit vorher. Du sollst nicht denken, wieder etwas gut machen zu müssen. Sieh, das darfst du nicht schreiben. Du tust nur weh damit. Es ist doch gar nicht mein Schmerz, sondern es ist der Deine. Und Du gibst mir einen Teil Deines Schmerzes zu tragen mit - ich bin Dir so dankbar dafür. Und denk, darum hab ich ihn lieb, weil wir ihn gemeinsam tragen dürfen. Es gibt so wenig Dinge, die wir gemeinsam haben. Sei nicht böse, Du, aber es ist so. Verstehst Du das?

Dietrich schreibt - in einem an der Zensur vorbei geschmuggeltem Brief:

Meine liebe, liebe Maria
Es geht nun nicht mehr länger, ich muss endlich einmal an Dich schreiben und zu Dir sprechen, ohne dass ein Dritter daran teilnimmt. Ich muss Dich in mein Herz sehen lassen, ohne dass ein anderer, den es nichts angeht, mit hineinguckt. Ich muss zu Dir von dem reden, was uns beiden ganz allein auf der Welt gehört und was entheiligt wird, wenn es fremden Ohren preisgegeben wird. ... Lass uns ganz frei miteinander reden, liebste Maria. Es fällt uns manchmal schwer, es zu glauben, dass wir einander wirklich von Herzen lieb haben. Wir kennen uns doch so wenig. Und doch, so oft der Zweifel mich anzufressen beginnen wollte, habe ich ihn vertrieben und verjagt. Wie könntest du mich liebhaben nach allem Vergangenem? Und doch - es ist irgendwie wahr und wird in Zukunft immer wahrer werden! Es ist ein Keim, der wächs­t. ... Wir dürfen von einander nicht mehr erwarten, als uns gegeben ist. Wir dürfen nichts erzwingen wollen. ....
Warte mit mir! Ich bitte Dich! Lass Dich umarmen, lang und innig, und küssen und Dich liebhaben und Dir den Kummer von der Stirn streichen. ...
        Immer, immer Dein Dietrich.

Viele Briefe sind es, die sich Maria und Dietrich schreiben - dazu kommen die Besuche Maria´s im Gefängnis, immer misstrauisch beobachtet von den Wärtern und Gefängnisaufsehern. Maria schmuggelt bei diesen Besuchen auch immer wieder wichtige Nachrichten ins Gefängnis hinein - und wieder hinaus. Am Anfang ist die Hoffnung da, dass Dietrich schon bald wieder entlassen werden könnte, doch nach den Scheitern des Anschlags vom 20 Juli - und nach dem Auffinden belasteter Dokumente, die auch deutlich Spuren in Richtung Dietrich Bonhoeffer zeigen, überwiegt die Verzweiflung. Ein Fluchtplan wird Ende 1944 angedacht, doch gibt Dietrich Bonhoeffer diesen Plan wieder auf, als sein Bruder Klaus und sein Schwager Rüdiger Schleicher verhaftet wurden. Er möchte ihr Leben nicht mit seiner Flucht gefährden.

Musik    

Station VII    Der Gefangene und sein Vermächtnis    

Die Situation im Gefängnis spitzt sich zu. Die Gestapo findet immer mehr belastende Dokumente - hinzu kommen die täglichen Bombardierungen der Stadt Berlin, denen die Gefangenen in ihren Zellen hilflos ausgeliefert sind. In dieser Zeit schreibt Dietrich Bonhoeffer:

        Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
        ich träte aus meiner Zelle
        gelassen und heißter und fest
        wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
    
        Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
        ich spräche zu meinen Bewachern
        frei und freundlich und klar,
        als hätte ich zu gebieten.

        Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
        ich trüge die Tage des Unglücks
        gleichmütig, lächelnd und stolz,
        wie einer, der Siegen gewohnt ist.

    Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
    Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir wei?
    Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
    ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
    hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
    dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
    zitternd vor Zorn über Willkür und kleinliche Kränkung,
    umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
    ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
    müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
    matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

    Wer bin ich? Der oder jener?
    Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
    Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
    und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
    Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
    das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

    Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
    Wer ich auch bin, Du kennst mich. Dein bin ich, o Gott!

Dietrich Bonhoeffer wurde zum Ende des Krieges aus dem Gefängnis in Berlin weggebracht. Sein Transport geht in Richtung Süden. Auf dem Weg - im Konzentrationslager Flossenbürg - wurde er am 9. April 1945 erhängt.

Doch er hinterlässt ein reiches Vermächtnis - das weit in die Zeit hineinreicht und mitprägt, für die er sein Leben eingesetzt hat. Dazu gehörte auch eine Vision für eine neue Kirche - und eine neue Frömmigkeit. Er schreibt:

Die Kirche ... war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie ... Sie hat mit angesehen, dass unter dem Deckmantel des Namens Christi, Gewalttat und Unrecht geschah ... Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi.
 Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.
 Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzten und doch von ihrer Gewalt überwunden wurden, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.
 Unterdessen soll die Kirche solange schweigen, bis wieder nach dem Evangelium gefragt und der Inhalt ihrer Worte zwingend wird. Das Wort Gottes kann den Menschen nicht aufgezwungen werden. Es soll ihnen nicht zugeworfen, sondern sorgfältig überreicht werden, wenn sie ihre Hände öffnen. Aufdringlichkeit ist der Tod der Eindringlichkeit.

Lied:     Von guten Mächten