Bonhoefferzentrum
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Predigt von Präd. H.-G. Bühner zu

Lukas9, 57-62: Vom Ernst der Nachfolge 

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Liebe Gemeinde!
Ein Spaziergang war die Christus-Nachfolge noch nie. Und wenn in unseren Tagen gelegentlich nach dem Motto „Jesus ist klasse“ Reklame für den Glauben gemacht wird, dann stimmt da etwas nicht! Denn wer später merkt, dass Jesus etwas mehr verlangt als nur Begeisterung, wird sich enttäuscht wieder abwenden
Noch immer hält sich hartnäckig das Gerücht, dass man als Christ nichts tun dürfe, was Spaß mache. Dabei geht es darum gar nicht! Nachfolge bedeutet ganz einfach, mit Jesus zu gehen. Aber dazu gehört der Ruf Jesu: Komm und folge mir nach. Bei dem ersten Kandidaten im Text fehlt dieser Ruf. Er ruft sich quasi selbst. Und das geht nicht. Nochmals: Reine Begeisterung für Jesus taugt nicht als Grundlage.
Bonhoeffer schreibt hierzu (NACHFOLGE, S. 48):
Der erste Jünger trägt Jesus die Nachfolge selbst an, er ist nicht gerufen, die Antwort Jesu verweist den Begeisterten darauf, dass er nicht weiß, was er tut. Er kann es gar nicht wissen. Das ist der Sinn der Antwort, in der dem Jünger das Leben mit Jesus in seiner Wirklichkeit gezeigt wird. Hier spricht der, der zum Kreuz geht, dessen ganzes Leben im Apostolikum mit dem einen Wort „gelitten“ bezeichnet wird. Das kann kein Mensch aus eigener Wahl wollen. Es kann sich keiner selbst rufen, sagt Jesus, und sein Wort bleibt ohne Antwort. Die Kluft zwischen dem freien Angebot der Nachfolge und der wirklichen Nachfolge bleibt aufgerissen.
Man darf gar nicht daran denken, wie viele dermaßen „falsch“ Nachfolgende in unseren Gemeinden sind. Christsein ist keine Überzeugung, der man sich anschließen oder die man ablehnen kann. Überzeugungen arbeiten mit dem Mittel des Intellekts. Deshalb schrieb der Apostel Paulus (1.Kor 2,4): und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft,
Der Apostel wusste, dass es für ihn aufgrund seiner Bildung sicher eine Kleinigkeit wäre, Menschen von Christus zu überzeugen. Aber er wusste ebenso, dass er dann „religiöse Menschen“ geschaffen hätte, die eben aus persönlicher Überzeugung gehandelt hätten. Und so beschränkte er sich darauf, seinen Mitmenschen allein das Wort Gottes zu sagen. Was es bewirkte, lag dann nicht mehr in seiner Hand. Paulus verstand sich als Werkzeug seines Herrn Christus. Er handelte nicht auf eigene Rechnung. Die Liebe Gottes musste in die Herzen der Menschen einziehen! Und das kann einzig und al-lein Gottes Geist bewirken. Wir können da nur staunend daneben stehen.

Die Begleiter Jesu damals, die mit seinen Jüngern ein Stück Wegs zogen, waren offensichtlich beeindruckt von den Taten Jesu. Mit seiner uns heute etwas merkwürdig anmutenden Antwort holt Jesus diesen einen Mann wieder auf den Teppich zurück. Bedenke, was alles auf dich zukommen kann, wenn du mit mir gehst. Das wird nicht nur Honigschlecken sein. Da warten ebenso Anfeindungen und Morddrohungen auf dich. Wärst du dann auch noch bereit, mir zu folgen?
So weit reicht keine Begeisterung, allenfalls Fanatismus. Was Fanatismus jedoch anzurichten vermag, sehen wir beim Blättern in Geschichtsbüchern und beim Betrachten der Nachrichten. Es muss deshalb an dieser Stelle aus-drücklich betont werden, dass Jesus niemals fanatische Fundamentalisten heranziehen wollte! Vielmehr waren gerade diese unter den strenggläubigen Juden seine ärgsten Gegner. Zu fanatischen Fundamentalisten waren sie deswegen geworden, weil es ihnen nur noch um die Durchsetzung des ver-meintlichen Willens Gottes ging, wie er in den fünf Büchern Mose niedergeschrieben ist. Die Weisungen Gottes kann jedoch nur richtig verstehen, wer sie durch die Brille der Liebe Gottes liest. Das versuchte Jesus den Schriftgelehrten seiner Tage mehr als einmal zu vermitteln. Nur wenige hatten ihn verstanden. Ihr Fanatismus brachte Jesus schließlich ans Kreuz.
Das konnte damals so geschehen, weil ihr Glaube zu einer Überzeugung geworden war, die es mit allen Mitteln durchzusetzen galt. Politischer Fana-tismus ist schon schlimm genug; doch religiöser Fanatismus geschieht aus der vermeintlichen Rückendeckung durch Gott. So verfolgte Saulus anfangs die ersten Christen mit absolut gutem Gewissen. Ebenso wurden in den Kriegen des 20. Jahrhunderts und auch schon früher Waffen gesegnet, weil man tatsächlich glaubte, im Auftrag Gottes zu handeln. Welch eine Verblendung! Gott musste den späteren Apostel erst blenden, damit dieser aus seiner Ver-blendung erwachte. Dafür war er dann ein brauchbares Werkzeug Gottes. Dass wir uns heute als Christen hier treffen, haben wir auch diesem Völker-apostel zu verdanken.
Dass er dem Anruf Gottes damals Folge leistete, war für ihn gar keine Frage. Als eifriger Diener Gottes musste er nur sein bisheriges Denken als Theo-loge umpolen lassen, und schon war er bestens gerüstet für seinen neuen Auftrag. In den Berichten lesen wir dann (Apg 9,22):
Saulus aber gewann immer mehr an Kraft und trieb die Juden in die Enge, die in Damaskus wohnten, und bewies, dass Jesus der Christus ist.
Die beiden weiteren Figuren in der heute uns vorgegebenen Erzählung jedoch reagieren etwas anders. Ihnen macht Jesus klar: Ihr seid noch nicht so weit. Wer mir nachfolgen will, muss dazu sofort und kompromisslos bereit sein. Ihre „Ausreden“ zeigen, dass sie innerlich noch Welt-Gebundene sind. Ihre Prioritäten sind noch falsch. Sie hätten sofort mit Jesus gehen sollen; danach hätte sich das Andere dann auch noch regeln lassen.
Bonhoeffer schreibt in seiner messerscharfen Analyse (NACHFOLGE, S.48/49):
Wo aber Jesus selbst ruft, da überwindet er auch die tiefste Kluft. Der Zweite will seinen Vater begraben, bevor er nachfolgt. Das Gesetz bindet ihn. Er weiß, was er tun will und tun muss. Erst soll das Gesetz erfüllt werden, dann will er folgen. … Gerade jetzt muss es geschehen, dass um Jesu willen das Gesetz durchbrochen wird; denn es hat zwischen Jesus und dem Gerufenen kein Recht mehr. So stellt sich Jesus hier gegen das Gesetz und gebietet Nachfolge. So redet allein der Christus. Er behält das letzte Wort. …

Der Dritte versteht die Nachfolge wie der erste als allein von ihm zu leistendes Angebot, als eigenes, selbstgewähltes Lebensprogramm. Er fühlt sich aber im Unterschied zu jenem berechtigt, auch seinerseits Bedingungen zu stellen. Damit verwickelt er sich in einen vollkommenen Widerspruch. Er will sich zu Jesus stellen, aber zugleich stellt er etwas zwischen sich und Jesus: „Erlaube mir zuvor.“ Er will nachfolgen, aber er will sich selbst die Bedingungen für die Nachfolge schaffen. Die Nachfolge ist ihm eine Möglichkeit, zu deren Verwirklichung die Erfüllung von Bedingungen und Voraussetzungen gehört.
So wird die Nachfolge etwas menschlich Einsichtiges und Verständliches. Erst tut man das Eine, und dann das Andere. Es hat alles sein Recht und seine Zeit. Der Jünger selbst stellt sich zur Verfügung, hat aber damit auch das Recht, seine Bedingungen zu stellen. Es ist offenbar, dass in diesem Augenblick Nachfolge aufhört, Nachfolge zu sein. Sie wird zum menschlichen Programm, das ich mir einteile nach meinem Urteil, das ich rational und ethisch rechtfertigen kann. Dieser Dritte also will nachfolgen, aber schon indem er es ausspricht, will er nicht mehr nachfolgen. … Er will nicht, was Jesus will, …
Es wäre zudem ein grobes Missverständnis dieses Textes, wollte man Je-sus unterstellen, er würde den Kontakt zur Familie unterbinden wollen. Wohl gibt es Sekten, die genau dies verlangen. Aber sie können sich dabei nicht auf Jesus berufen. Der ging nämlich zur Schwiegermutter des Petrus, als diese krank war und Petrus seinen Meister deswegen um Hilfe bat. Also unterhielt Petrus weiterhin Kontakt zu seiner Familie. Außerdem erinnern wir uns: Als Jesus am Kreuz hing, sorgte er dafür, dass seine Mutter Maria für die Zukunft abgesichert war.
Wenn also Jesus ins Leben eines Menschen tritt, dann ändern sich zuallererst die Wertigkeiten, die Prioritäten. Indem er an die erste Stelle rückt, verlieren andere Dinge ihren Machtanspruch über uns. Dann erkennt der Broker, dass es im Leben Wichtigeres gibt als das ständige Schauen nach dem besten Börsenkurs. Der Zocker spürt, wie unfrei er bisher war, weil das jeweilige Spiel ihn bis weit in die Nacht gefesselt hatte. Der Workaholic merkt, dass die Arbeit dazu da ist, den Lebensunterhalt zu erwirtschaften und nicht umgekehrt. In vielen Familien wird die Vergötzung des Partners oder des Kindes aufgehoben. Es tut dem Menschen nämlich nicht gut, wenn er das Gefühl bekommen hat, der Nabel der Welt zu sein. In der Schule spricht man da vom Prinzen-Syndrom, wenn Einzelkinder sich auch im Klassenverband verhalten, als müsste alles nach ihrer Pfeife tanzen, nur weil sie das von zu-hause so gewöhnt sind. Um es mit einem physikalischen Bild auszudrücken: Wenn der Magnet Jesus hinzukommt, werden die durcheinandergewirbelten Einzelteile wieder richtig gepolt und ausgerichtet. Deswegen konnte Luther folgende Liedstrophe schreiben (EKG 362,4):
Das Wort sie sollen lassen stahn / und kein’ Dank dazu haben; / er ist bei uns wohl auf dem Plan / mit seinem Geist und Gaben. / Nehmen sie den Leib, / Gut, Ehr, Kind und Weib: / lass fahren dahin, / sie haben’s kein Gewinn, / das Reich muss uns doch bleiben.
Luther wusste noch aufgrund bitterer Erfahrungen während der Reformati-onszeit, wie schnell solche tiefen Einschnitte im Leben kommen können. Danken wir Gott, dass in unserem heutigen Deutschland Friede und Wohl-stand nun schon seit sieben Jahrzehnten herrschen!
Aber es mischen sich zunehmend Misstöne in dieses idyllische Bild. Der Anschlag von Halle hat erneut gezeigt, dass etwas in unserm Land nicht mehr stimmt. Weil zunehmend die Bibeln in den Wohnungen in irgendwelchen Schränken verstauben, ist die Magnetkraft Christi weitgehend verloren gegangen. Längst sind uns andere Dinge wichtiger geworden als die Nachfolge Christi. Wer jetzt einmal mehr populistisch nach mehr Überwachung ruft, hat nicht kapiert, worum es eigentlich geht. Hier sind Menschen scheinbar unbemerkt von Familie und Gesellschaft aus der Gemeinschaft gefallen, derer sie doch so dringend bedürften!
Folge mir nach! Das bedeutet vor allem, die Liebe Christi unter die Men-schen zu bringen. Das gebietet Jesus dem zweiten Kandidaten ausdrücklich. Das geht nicht ohne tätige Nächstenliebe. Sein Credo lautete deshalb folge-richtig (Mt 7,12):
Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.
Doch auch dies muss eingebettet sein in die richtige Rangordnung. Zuallererst steht die Liebe zu Gott. Das steht nicht erst im Neuen Testament, wie Viele meinen, sondern Jesus zitiert dies aus den Mose-Büchern (Mk 12,30):
… du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (5.Mose 6,4-5).
Ihr Lieben, noch ruft uns Gott. Ein neueres Lied hat den schönen Titel: Bist du bereit, wenn Christus erscheint? Machen wir doch das wieder zu unserm dringendsten Gebet. Dann wird unser Leben neu ausgerichtet werden, und Friede wird in unsere Herzen einkehren. Wir werden bereit sein, die Schwächen und Fehler unserer Mitmenschen zu verzeihen. Dadurch wird dann auch die Gesellschaft gesunden. Es gibt ja immer noch jene sozialistischen Träumer, die genau den umgekehrten Weg gehen wollen: Man ändere die gesellschaftlichen Verhältnisse, dann würde auch der Mensch besser. Das ist eben die Tragik jedweder Ideologie, dass sie die Realitäten ignoriert. Ideologien sind so etwas wie Religionsersatz. Wo der Mensch Christus ignoriert oder gar leugnet, da braucht er eben einen Ersatz. Es hat einmal jemand so treffend festgestellt: Der Mensch ist hoffnungslos religiös veranlagt. Ohne Sinngebung fehlt uns eben etwas.
Jesus jedoch hat keine Religion gebracht, sondern sich selbst. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied. Leider ist im Verlauf der Kirchengeschichte die Christusnachfolge zur Religion degradiert worden mit all ihren Fehlent-wicklungen und Grausamkeiten. Denn da ging es dann wieder um persönliche Überzeugungen, und die will man mit allen Mitteln durchsetzen. Die Liebe zum Mitmenschen ist stattdessen in der Lage, diesen zu achten, ganz unabhängig von seiner Weltanschauung und Volkszugehörigkeit. Seien wir also darum besorgt, dass folgender Kernsatz in unserem Grundgesetz erhalten bleibt:      Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Wir sind nämlich bereits mittendrin in einer Entwicklung, die genau diesen Grundsatz verletzt. Da werden Arbeitnehmer nur noch nach dem Prinzip ihrer Leistungsfähigkeit eingestuft und notfalls entlassen, wenn dadurch die Aktienkurse steigen. Die Deckelung der Krankenkosten hat dazu geführt, dass wir nun eine Zwei-Klassen-Medizin haben, wodurch Arme früher sterben als Reiche. Dabei wollte man gerade das verhindern.
Christus will, dass zuerst der Mensch steht und dann erst das Geld. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt 6,24)! Es muss unbedingt unser Grundanliegen werden, Christus wieder mehr als bisher in die Mitte unseres Denkens zu stellen. Eingedenk des Jesuswortes vom Pflügen, bei dem man nicht zurückschauen darf, müssen wir lernen, nach vorn auf Jesus zu schauen. Allein in ihm liegt das Heil der Menschheit. Lasst uns beten, dass dies gerade in den Kirchen wieder erkannt und entsprechend praktiziert wird. Unser Wollen ist schwach. Wir brauchen dazu den, dessen Zusage an uns lautet (Phil 2,13):
Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.
Dann geschieht wahre Nachfolge.
Amen.